Nachschenken!

In den vergangenen Wochen haben sich etliche Weinprofis in Blogs, auf Facebook und in Weinforen leidenschaftlich zu Naturweinen geäußert. Was Naturwein genau ist kann keiner so genau sagen, denn es gibt keine Definition. Auch Wikipedia ist dazu so schwammig, dass es mehr Interpretationsspielraum als bei Bibelversen gibt.

Die Diskussionen werden selten sachlich, aber dafür um so leidenschaftlicher geführt. Sicher auch wegen der oben angesprochenen fehlenden Definition. Vor allem aber auch wegen der geschmacklichen Bandbreite der Weine, die als Naturweine deklariert und verkauft werden. Ich habe schon chemisch bedenkliche Flüssigkeiten probiert, die ich für einen kräftigen Schluck Sidolin streifenfrei hätte stehen lassen, aber ebenso Naturweine entdeckt, von denen ich begeistert war. Zum Beispiel als Begleitung zu diesem Menu und auch im Foodcamp Franken.

Vor allem weil der Markt für Naturwein weltweit kleiner als 2% ist, wundert man sich als Beobachter am Spielfeldrand über die passionierten Meinungsaustausch. In kulinarischen Kategorien sprechen wir über so etwas in der Größe der Frutarier-Bewegung. Schätze ich. Der Weinpublizist Manfred Klimek sagt: „Die Bewegung ist der Veganismus der Alkoholtrinker.“ Wir sind uns einig. Die Bewegung ist winzig und überschätzt sich.

Warum ist das wichtig? Ist es nicht, aber ich habe einen tollen Wein getrunken, der mir als Naturwein in den Facebook-Stream gespült wurde, woraufhin ich zwei Flaschen bestellte. Ein 2014er Pinot Blanc aus dem Rheingau vom Weingut Balthasar Ress, auf welchem seit ein paar Jahren Dirk Würtz für die Weine verantwortlich ist.

Balthasar Ress Pinot Blanc 2014

Weingut Balthasar Ress – Pinot Blanc 2014

Ein bisschen zu gut gekühlt ins Glas gegossen schaut man in eine Flüssigkeit, die aussieht wie hellgelber Apfelsaft mit einem Schuss Birnensaft getrübt. Es riecht wie angegorene Äpfel und Ebbelwoi und schmeckt anfangs deutlich danach. Dann kommt herber Apfelkuchen. Um genauer zu sein: Apfelstrudel mit gehobelten Mandeln und Rosinen. Kein selbst gemachter, dann wäre es weihnachtlich im Glas, sondern der vom Eismann. Das ist sowas wie Bofrost, kam früher bei uns auf dem Dorf und hat tiefgefrorene Convenience gebracht. Dieser Wein ist das Resultat vom Gegenteil und (Achtung, das böse Wort) saulecker. Das Ganze wird dann nicht wohlig gemütlich, sondern richtig trocken und schmeckt wie fein geschnittener grüner Apfel, unreife Birne und frisch gewaschene abgebrochene Selleriestangen. Mit nur 11% Alkohol ist das viel Trinkspaß.

Die Temperatur macht bei dem Wein einen immensen Unterschied. Frisch aus dem Kühlschrank funktioniert das alles gar nicht. Wenn der aber mal 5-6 Minuten im Glas hatte, man ihn lässig darin gedreht hat und er sich mit Kumpel Sauerstoff ein bisschen entspannen konnte, kommen all die Aromen raus und man schenkt nach und nach und nach…

So ein Naturwein wieder. Einer den ich mir vormerke für ein das nächste Menu, um ihn als Begleitung einzubauen. Heute Abend hat er zu Pfälzer Leberwurst funktioniert. Ehrlich.

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